„Wir wollen ein neues Hörerlebnis schaffen“
Eine neuartige Plattform für Audio-Magazine will den Qualitätsjournalismus stärken. Die Projektpartner nacamar, WDR mediagroup und ams Radio & MediaSolutions arbeiten an einem Geschäftsmodell, das den hiesigen Medienmarkt stützen soll. Uwe Wollgramm, Geschäftsführer von ams, über das Projekt „Voyager“.
Herr Wollgramm, was wird auf Ihrer Plattform zu hören sein?
Uwe Wollgramm: Wir entwickeln ein neues journalistisches Format, das wir „Audio-Magazin“ nennen. Dessen Inhalte orientieren sich sehr agil und flexibel an den Interessen der Nutzerinnen und Nutzer, eine Redaktion stellt mit Hilfe von KI personalisierte Magazine zusammen. Auf der zugehörigen Plattform stehen sowohl tagesaktuelle als auch zeitlose Themen aus bestimmten Bereichen wie Reise, Wirtschaft, Gesundheit oder Sport zur Auswahl für das individuelle Audio-Magazin. Vorstellbar sind auch Schwerpunkte, die ein bestimmtes Thema aus verschiedenen Perspektiven mit Inhalten von diversen Quellmedien beleuchten.
Wie lang sind diese Magazine?
Derzeit arbeiten wir an einem tagesaktuellen Magazin, das wir zunächst in zwei unterschiedlichen Längen anbieten. In einer weiteren Projektstufe ist es auch denkbar, die Magazine in individuell anpassbaren Längen anzubieten und so den Bedürfnissen gerecht zu werden. Wenn Nutzerinnen und Nutzer beispielsweise ein Magazin wünschen, das exakt so lange dauert wie ihr Weg zur Arbeit, können sie das angeben.
Woher stammen die Inhalte der Magazine?
Wir wollen auf dieser Plattform journalistische Inhalte von Qualitätsmedien aus den unterschiedlichen Gattungen miteinander vereinen. Das heißt, es sind auch Printverlage beteiligt, die bisher kein Audio anbieten. Sie stellen uns ihre Inhalte in schriftlicher Form zur Verfügung, wir produzieren daraus ein qualitativ hochwertiges Audioformat. Auf der Plattform, die zunächst als App geplant ist, können dann die Nutzerinnen und Nutzern aus allen Inhalte die Auswahl für ihre individuellen Audio-Magazine treffen.
Manche Verlage bieten ausgewählte Texte bereits als Audioversion an, man kann sie sich vorlesen lassen. Bei Ihnen geht es darüber hinaus?
Wir wollen ein ganz neues Hörerlebnis für die Nutzerinnen und Nutzer schaffen. Ausgewählte Premiuminhalte sollen professionell vertont werden, so dass man auch Atmosphäre hören und sich beispielweise in eine Reportage hineinversetzen kann.
Wie weit sind Sie in der Entwicklung, gibt es bereits etwas zu hören?
Wir haben schon einige Magazine produziert, aber noch nicht veröffentlicht. In der ersten Projektphase ging es vor allem um Überlegungen, was die Nutzerinnen und Nutzer von einer solchen Plattform erwarten würden. Zunächst gab es grundsätzliche Fragen zu klären, wie etwa das Handling der Plattform-App. Zudem haben wir versucht, individuelle Bedürfnisse von Menschen in unterschiedlichen Lebens- und Alltagssituationen aufzunehmen. Auf dieser Grundlage haben wir über 30 Userjourneys erstellt und beispielhafte Magazine produziert. Jetzt treten wir in die Labortest-Phase ein.
Was passiert in dieser Phase?
Wir wollen die Magazine auf eine breitere Basis stellen. Um Praxiserfahrung sammeln zu können, haben wir Medienunternehmen aus ganz Nordrhein-Westfalen angesprochen, ob sie uns ihre Inhalte für einen Labortest zur Verfügung stellen. Wir brauchen ein Gefühl dafür, wie aufwändig die Produktionen sind und welche Fallstricke es zu überwinden gilt. Am Ende der Laborphase gehen wir mit vertonten Beiträgen aus verschiedensten Medien in die Marktforschung. Über das Feedback der User erhoffen wir uns Erkenntnisse, wie wir die Magazine optimieren können. Am Ende der Projektphase steht dann die Idee für einen Businessplan.
Dann geht es um die Monetarisierung?
Die Frage ist, wie wir die Plattform als Geschäftsidee weiterentwickeln können. Das ist ein sehr aufwändiges Projekt, deshalb sind wir auch dankbar, dass wir vom Journalismus Lab der Landesanstalt für Medien NRW mit dem Programm Audio Innovation eine finanzielle Förderung erhalten haben. Wir haben uns vorgenommen, dass wir den Proof of Concept bis 30. Juni 2022 fertig stellen. Jetzt geht es vorrangig darum, die Erfolgsaussichten einer solchen Plattform abzuschätzen.
Wann wäre sie in Ihrem Sinne erfolgreich? Wenn viele Leute sie nutzen?
Ja, die Reichweite ist wichtig. Aber noch entscheidender ist die Frage, was die Plattform den Nutzerinnen und Nutzern wert ist. Für die Refinanzierung gibt es zwei Modelle: einmal ein Abonnement, mit dem die Inhalte direkt bezahlt werden, zum anderen Werbung. In Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Dortmund versuchen wir herauszufinden, wieviel Hörerinnen und Hörer bereit wären, dafür zu bezahlen. Denkbar ist auch ein Mischmodell aus Werbung und Abo. Am Ende sollen die Partnermedien, die ihre Inhalte zuliefern, natürlich auch davon profitieren und an den Erlösen beteiligt werden.
Die Plattform schließt sowohl private als auch öffentlich-rechtliche Medien ein. Letztere finanzieren ihre Inhalte über die Rundfunkgebühr, unabhängig von der Reichweite. Wie kann ein Geschäftsmodell aussehen, das beiden gerecht wird?
Wir können noch nicht sagen, ob auch die öffentlich-rechtlichen Medien mit ihren Inhalten im Wirkbetrieb dabei wären. Darüber sind die Entscheidungen noch nicht getroffen. Ich würde mir das wünschen, weil dadurch das Angebot breiter und attraktiver wäre. Es sprechen auch Forschungsergebnisse eindeutig dafür, auf Plattformen möglichst viele verschiedene Inhalte unterschiedlicher Anbieter zur Verfügung zu stellen, das ist auch für den wirtschaftlichen Erfolg ein wesentlicher Faktor. Deshalb wäre eine Zusammenarbeit mit den öffentlich-rechtlichen Medien sicher ein Gewinn für alle. Wenn zum Beispiel deren Inhalte bei uns auf der Plattform nicht mit Werbung laufen würden, sondern nur die Inhalte der privaten Medien Werbung führen würden, dann könnte entsprechend auch die Erlösverteilung zugunsten der Privaten ausfallen, während die Öffentlich-Rechtlichen einen Vorteil in der weiteren Verbreitung ihrer Beiträge an zusätzliche Zielgruppen hätten.
Ist Ihre Plattform als Alternative zu den bekannten Plattformen wie Spotify oder Apple angelegt?
Genau das ist unser Ziel. Denn wir sehen die Gefahr, dass der deutsche Medienmarkt von großen multinationalen Plattformen beherrscht wird. Daher versuchen wir gemeinsam ein Gegenmodell zu entwickeln, bei dem die Medien, die hier ihre Inhalte produzieren, auch davon profitieren. Das ist bei den internationalen Plattformen nicht der Fall.
Soll die Plattform Deutschland abdecken?
In der Idealvorstellung ist es so gedacht, dass die Keimzelle des Geschäftsmodells in NRW liegt. Wenn es hier funktioniert, kann die Plattform erweitert werden und auf ganz Deutschland bzw. den deutschsprachigen Raum hochskaliert werden. Denkbar ist aber auch eine Ausweitung auf den fremdsprachigen Raum. Wenn die Plattform angenommen wird, dann funktioniert sie nicht nur in NRW. Voraussetzung ist, dass wir die Medienhäuser dafür gewinnen können, ihre Inhalte zur Verfügung zu stellen.