VierNull.de: Der Rheinische-Post-Jäger
Lokaljournalismus hat es nicht leicht. Oder doch? Das neue lokalredaktionelle Angebot in Düsseldorf rund um die ehemaligen Lokalchefs von Rheinische Post und Westdeutscher Zeitung Hans Onkelbach und Christian Herrendorf haben eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne vorzuweisen. Und in wenigen Monaten sollen sie laut eigenen Angaben bereits profitabel sein. Warum sie VierNull.de gestartet haben und wie sie es so weit gebracht haben, erklärt Onkelbach in diesem Interview.
Hallo Hans, wer bist du und was hat es mit VierNull auf sich?
Also mein Name ist Hans Onkelbach, ich bin Journalist und das schon schon seit meinem 25. Lebensjahr. Ich bin 68 Jahre alt und war bis 2015 Lokalchef der Rheinischen Post in Düsseldorf. Danach habe ich ein paar Jahre als freier Autor gearbeitet, sowohl journalistisch als auch im Bereich Medienberatung und Planung.
In der Zeit nach der Rheinischen Post habe ich gemerkt, dass eine enorme Konzentration der journalistischen Szene stattgefunden hat. Gerade in den Großstädten wie Düsseldorf ist am Ende nur ein einziger großer Player übrig geblieben, nämlich die Rheinische Post Mediengruppe. Und das ging mit einem Qualitätsverlust einher. Da kam mir die Idee, einen eigenen Blog über Düsseldorfer Themen zu machen. Ich lebe hier seit über 20 Jahren, kenne die Stadt gut. Es gibt viele Themen, die nicht erzählt und eingeordnet werden.
Darüber habe ich mit meinem ehemaligen Kollegen Christian Herrendorf gesprochen, der in einer ähnlichen Lage war wie ich; er war zum Schluss Lokalchef der Westdeutschen Zeitung und hatte auch die Idee einen Blog zu machen. Da war es naheliegend, gemeinsam zu überlegen, was wir machen können.
Wann ging es dann los?
Die Entscheidung fiel im Herbst 2020, richtig los ging es im Frühjahr 2021. Die Frage war, wie und in welcher Form machen wir’s? Uns war klar, dass ein normaler Blog nicht reichen würde, weil wir schon mit einem relativ hohen Anspruch da ran gehen wollten. Wir haben den Fotografen Andreas Endermann gefragt, ob er für uns das Design machen könnte und er war sofort Feuer und Flamme. Boris Bartels, der eine eigene Agentur hat, hat uns dann mit der Technik geholfen. Und im März ging es mit der Crowdfunding-Kampagne los, nachdem wir die ganzen bürokratischen Hürden überwunden hatte. Man glaubt es ja nicht, da sind wir teilweise etwas naiv in die Planung gegangen.
Wieso, was ist passiert?
Du brauchst ja zur Gründung einer Firma einen Eintrag ins Handelsregister. Das klingt erstmal einfach. Ein Freund arbeitet in den baltischen Staaten. Da schickst du morgens eine Mail und am nächsten Tag hast du deine Handelsregisternummer. Bei uns hat das zwei Monate gedauert, weil an dem Prozess drei Amtsgerichte beteiligt sind: Ein Amtsgericht, das die Nummer vergibt, eines, das die Kosten verwaltet und eines, das die Kosten kontrolliert. Und ohne Handelsregistereintrag kannst du ja kein Geschäftskonto eröffnen. Das brauchten wir aber für das Crowdfunding. Das ist wie beim Hauptmann von Köpenick: Hast du keine Wohnung, bekommst du keinen Job. Und hast du keinen Job bekommst du keine Wohnung.
Und wie ist das Crowdfunding dann gelaufen?
Wir brauchten 40.000 Euro und am Ende hatten wir 45! Erst ging es relativ schnell hoch, dann dümpelte es vor sich hin und gegen Ende zog es noch mal an. Jeden Morgen auf Start Next gucken, was der aktuelle Stand ist, war unser Frühsport. Und natürlich haben wir dann gefeiert, als wir die 40.000 geknackt hatten.
Warum denkt ihr hat das so gut funktioniert?
Es kam immer wieder die Argumentation, dass viele Menschen es wichtig finden, dass es in Düsseldorf Medienvielfalt gibt. Wir haben das Crowdfunding mit dem Abo-Modell kombiniert und gesagt, wer uns hier hilft, ist auch gleichzeitig Abonnent:in. Und letztendlich ist es wichtig, dass du ein sehr glaubwürdiges und nachvollziehbares Konzept hast. Die Leute müssen verstehen, was du willst und dass du der oder die Richtige dafür bist. Der Punkt, dass wir in der Stadt bereits gearbeitet hatten und uns auskannten, war sicher wichtig. Christian und ich hatten auch unterschätzt, wie sehr wir in Düsseldorf als Marke wahrgenommen wurden.
Mit welchem Konzept seid ihr dann an den Start gegangen und was unterscheidet euch nun von der Rheinischen Post?
Uns unterscheidet eigentlich alles von der Rheinischen Post. Die Rheinische Post ist für ihre Kund:innen wie ein Buffet. Du hast eine große Platte mit jeder Menge Sachen, die man essen könnte, du isst aber nur zwei, drei Sachen, weil du den Rest nicht magst oder weil du keinen Hunger mehr hast. Du musst aber das komplette Buffet bezahlen.
Bei uns ist das anders. Wir bieten unseren Leser:innen jeden Tag einen Newsletter mit Einschätzungen und Nachrichten und ein großes Thema pro Tag, das gerade relevant ist für diese Stadt. Dafür recherchieren wir gründlich, mit viel Hintergrundinformationen. Wir nehmen uns die Zeit, Schnellschüsse, wie bei einer Lokalredaktion üblich, gibt es bei uns nicht. Vor ein paar Tagen haben wir zum Beispiel ein großes Hintergrund-Stück zum Thema Hochwasser in Düsseldorf gebracht. Wir haben uns die Mühe gemacht, den ganzen Ablauf in dieser Nacht zu recherchieren. Wir wollen nicht skandalisieren, sondern lösungsorientiert arbeiten. Wir trennen Meinung und Nachricht, das ist bei uns einfach in den Genen drin.
Wie habt ihr das Geld aus dem Crowdfunding eingesetzt?
Wir haben erstmal die IT-Leute bezahlt, die uns auf Vorschuss die Seite gebaut haben. Ein großer Batzen ist in ein Marktforschungsinstitut geflossen, das für uns den Markt in Düsseldorf abgeklopft hat. Mit ermutigenden Ergebnissen! Wir haben mit dem Geld Versicherungen abgeschlossen und mit dem Rest und dem was über die Abos reinkommt, bezahlen wir ausschließlich freie Mitarbeiter:innen mit einem ordentlichen Honorar. Vier Leute bisher, drei Frauen, ein Mann, exzellente Schreiber.
Wie ist das Team aufgebaut und wer ist für was zuständig?
Die wirklich wichtigen Dinge entscheiden wir immer zusammen. Das Team ist so strukturiert, dass keiner etwas ohne die anderen tun könnte. Wir sind miteinander verwoben, das hängt auch mit den unterschiedlichen Talenten zusammen. Christian zum Beispiel nennen wir die Datenkrake, weil er es liebt, mit Matomo in die letzten Niederungen unseres System zu gehen. Mit Andreas dem Fotografen entwickeln wir die Optik und er kommt in 90 Prozent der Fälle mit einer Idee um die Ecke, bei der wir sagen: Genau, das ist es! Christian und ich finalisieren oft gemeinsam die Überschriften und arbeiten an den Texten.
An der internen Kommunikation müssen wir allerdings noch arbeiten. Wir suchen aktuell noch Tools, mit denen die Zusammenarbeit remote einfacher wird. Das ist gerade noch ein Prozess.
Lass uns mal auf das Thema Produkt zu sprechen kommen. Was ist eigentlich euer Produkt?
Unser Produkt macht die Leute klüger. Wir sind eine Nachrichtenquelle für Informationen, an die sie woanders nicht herankommen. Vor der Wahl gab es zum Beispiel eine Einschätzung über deren Verlauf. Und da wir die Leute in Düsseldorf recht gut kennen, ist sie zu unserer großen Freude fast komplett so eingetreten, wie wir das vorhergesagt haben.
Das lassen wir uns mit Abos bezahlen über Monats-, und Jahres-Abos. Auf Anregung des Journalismus Lab überlegen wir gerade, ob wir auch einzelne Artikel verkaufen sollten. Wir werden das versuchen, um zu schauen, ob es klappt.
Werbung schließt ihr völlig aus?
Ja. Vor kurzem habe ich einen Geschäftsmann getroffen, dem ich von VierNull erzählte. Er war fassungslos, als ich ihm sagte, dass er gerne ein Abo abschließen, aber keine Anzeige platzieren kann.
Und wie muss man sich die Entwicklung eures Produkts vorstellen?
Das ist ein Prozess. Aktuell arbeiten wir daran unsere Bezahlschranke umzugestalten, damit die Abomodelle noch klarer werden. Die aktuelle Version stammt noch vom Crowdfunding und wir haben das Feedback bekommen, dass die Leute den Bezahlprozess nicht durchziehen, weil er ihnen nicht klar ist.
Außerdem haben wir jeden Tag eine Meldung um 18 Uhr, die „40 Sekunden“ heißt. Die Idee ist, dass du die wichtigsten Meldungen des Tages in 40 Sekunden lesen kannst. Das machen wir jeden Tag, stellen aber fest, dass das kaum einer liest. Aber es kostet uns täglich Zeit, diese Meldungen zu recherchieren und zu schreiben. Wir überlegen jetzt, ob wir daraus den kürzesten Podcast der Stadt machen. Ähnlich arbeiten wir gerade auch an unserer Sonntagskolumne.
Ein Feedback ist auch, dass uns oft Grafiken fehlen. Ich mag gut gemachte Grafiken und darum schauen wir jetzt, wie wir das mit einem Freelancer realisieren können.
Wie würdet ihr zu einem Angebot von der Rheinischen Post stehen? Der Gedanke einer feindlichen Übernahme ist ja nicht so weit weg.
Wir würden uns über das Angebot sehr freuen. Aber wieso sollten wir uns von einem/r Chefredakteur:in reinreden lassen, wenn wir doch selbst genau wissen, wie es geht? Ich verstehe auch nicht, wieso die Regionalzeitungen ihre Lokalredaktionen so kläglich vernachlässigen.
Wie sehen eure Pläne für die Zukunft aus?
Unser wichtigster Plan ist, in den nächsten Monaten schwarze Zahlen zu schreiben und dass wir uns selbst ein Gehalt zahlen können. Das ist auch aus mentalen Gründen wichtig. Dabei konzentrieren wir uns auf die Zielgruppe 40+, weil wir glauben, dass unter 40 Jahren eher weniger Abos abgeschlossen werden. Da wir jeden Tag neue Abonnent:innen hinzubekommen, gehen wir davon aus, dass wir in drei bis vier Monaten in der Lage sind, uns auch selbst ein Gehalt zu bezahlen. Aktuell haben wir fast 800 Abonnent:innen.
Und irgendwann, in zwei oder drei Jahren, würde ich gerne sagen können: Jungs, ich bin auf meine alten Tage noch Startuper geworden, womit ich neverever gerechnet hätte. Der Vogel fliegt jetzt und wenn ihr Lust habt, könnt ihr mich ab und zu mal fragen, ob ich noch etwas für euch schreibe.