Wie passen lineare Radioprogramme und interaktive Audioformate zusammen? Ein Beispiel vom Radio Bielefeld
Das Radio Bielefeld hat in Sachen interaktiven Radioformaten einen Vorstoß gewagt: Mit dem Projekt #mitreden sollen Hörerinnen und Hörer direkt mit in das Radioprogramm einbezogen werden. Wie so etwas funktionieren kann und welchen Problematiken sie begegnet sind, berichtet Timo Fratz, Chefredakteur beim Radio Bielefeld, in seiner Session auf dem Audiocamp.
Das Projekt #mitreden basiert auf den beiden Ausgangsthesen, dass 1. Nutzerinnen und Nutzer von Radio-Audioangeboten sich stärker inhaltlich an diesen beteiligen möchten und 2. um attraktiv zu bleiben, müssen die klassischen Social-Media-Angebote und bisherige Beteiligungsmöglichkeiten erweitert werden. Mit diesen Grundannahmen setzte sich das Team rund um Timo Fratz an die Entwicklung eines neuen Radioformates. Begleitet wurde das Projekt auch aus wissenschaftlicher Sicht von der Fachhochschule des Mittelstands Bielefeld (FHM).
Projektentwicklung #mitreden
Zuerst stellte sich dem Team die Frage, wie es umgesetzt werden kann, dass über Text und Audio, Hörerinnen und Hörer an einer moderierten Online-Diskussionen über relevante Gesellschaftsthemen teilnehmen können. Die Startidee war es eine eigene Plattform zu entwickeln, die solche Diskussions-Funktionen abdeckt. Schnell wurde dem Team jedoch bewusst, dass die Entwicklung einer eigenen Projekt-Plattform mit den vorhandenen finanziellen Mitteln und zeitlichen Ressourcen nicht möglich ist. So wurde die Alternative Discord eingesetzt. Der Audio- und Textchat von Discord – der insbesondere in der Gaming-Szene bekannt ist – ermöglicht unter anderem schnelles Feedback: So kann beispielsweise über einfache Icons wie einen lachenden Smiley oder einen Daumen, der nach oben zeigt, schnell Zustimmung gezeigt werden.
Für die praktische Umsetzung hat sich das Team überlegt, die Live-Diskussion eine Stunde lang zu betreuen und während dieser Zeit jeweils zweimal á vier bis sechs Minuten in das lineare Radioprogramm zu schalten. Am nächsten Tag wurden die Highlights der Diskussionsrunde nochmal zusammengeschnitten im Radioprogramm wiederholt. Als Uhrzeit wurde die Stunde zwischen 19 und 20 Uhr gewählt, da die Überlegung war, das interaktive Radioformat zu einer Uhrzeit anzubieten, wo das klassische Radio nicht so gut funktioniert. Dies gilt es allerdings noch durch Nutzerinnen- und Nutzerbefragungen zu prüfen.
Community-Management bei hitzigen Diskussionen
Eine Frage aus dem Publikum zielte auf das nötige Community-Management hinter eines solchen Formats, z.B. wie und ob Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgewählt werden und wie verhindert wird, dass Kommentare, die fehl am Platz waren, nicht gesendet wurden. Timo Fratz erklärte, dass die Diskutierenden vorher nicht gecastet wurden, aber es zuvor schon die Möglichkeit gab auf der Webseite ein Formular auszufüllen, um seine Meinung bereits im Vorfeld dem Radio Bielefeld zukommen zu lassen. Trotz allem kamen natürlich auch Hörerinnen und Hörer zu Wort, die sich spontan in die Diskussion eingeklinkt haben. Letztlich muss man auch hier nach dem Motto „try and error“ arbeiten, so Timo Fratz: Wenn jemand etwas Unpassendes sagt, muss man als Moderator schnellstmöglich reagieren oder im schlimmsten Fall stummschalten.
Timo Fratz zeigte Video-Ausschnitte und Hörbeispiele der ersten beiden Runden des Projektes #mitreden. Bei der ersten Live-Diskussionsrunde im Juli 2021 wählte die Redaktion bewusst ein sehr spezifisches, aber aktuelles Thema: die CRISPR/Cas-Methode. Rund 24 Personen haben an der Diskussion teilgenommen und acht von ihnen haben aktiv mitdiskutiert. Der zweite Versuch fand im August statt: Diesmal wurde die Verkehrswende in der Bielefelder Innenstadt als Thema gewählt, ein Thema, zu dem fast jeder in Bielefeld eine Meinung hat und derzeit die Lokalpolitik bestimmt. Es nahmen 59 Personen teil, 14 von ihnen diskutierten aktiv mit.
Ein Format für konstruktiven Austausch
Stolz resümiert Timo Fratz: „Man merkt dabei, dass wir das, was wir anfangs erreichen wollten – eine konstruktive Diskussionskultur zu etablieren über ein sonst durchaus emotional diskutiertes Thema –, hinbekommen haben.“ Er betont, dass sich die Kommentare bei dem Projekt #mitreden sehr stark von denen unterscheiden, die bei Facebook gepostet werden. Denn bei Facebook finden sich fast nur negative Kommentare, bei dem Projekt gab es wiederum eine konstruktive Diskussion, an der unterschiedlichste Personen teilgenommen haben, wie beispielweise auch Stadtratspolitikerinnen und -politiker, die so in den direkten Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern treten konnten.
Zum Ende der Session gab Timo Fratz den Ausblick, dass das Projekt #mitreden im September ein drittes Mal stattfinden wird, da das Format gut angenommen wird. Das zeigt u. A. auch die Reichweite von Facebook-Post zu dem Projekt, die überdurchschnittlich hoch ausgefallen ist. Darüber hinaus wird das Format auch noch in Gruppendiskussionen und Nutzerbefragungen reflektiert und optimiert. So steht beispielsweise noch die Frage im Raum, wann der beste Zeitpunkt für solch eine Live-Diskussion ist und wie weitere Zielgruppen erreicht werden können. Gleichzeitig gibt es gerade Gespräche zwischen der Stadt Bielefeld und dem Radiosender, inwieweit das neue Tool genutzt werden kann, um die Bürgerbeteiligung an politischen Prozessen zu ermöglichen und mehr Leute zu erreichen.