Immersives 3D Audio. Wie klingt die Revolution des Hörens?
Menschen hören von Natur aus dreidimensional. Digitales 3D-Audio kann dies nun immer besser imitieren. Welche Chancen stecken in der Technik? Das diskutierten die Toningenieure Martin Rieger von VRTonung, Detlef Wiese und Hauke Krüger von Binaurics auf dem Audiocamp.
Manchmal führt die digitale Revolution zurück zum Ursprung. 3D Audio oder immersives Audio ist so eine Revolution, die über spezielle Mikrofone und digitale Technik räumliches Hören ermöglicht. „Das dreidimensionale Audioerlebnis entspricht unserer natürlichen Hörgewohnheit“, erklärte Martin Rieger auf der Audiocamp-Session zu 3D Audio. Menschen hören automatisch alle Geräusche in einem Raum, nicht nur eine separierte Stimme wie bei Stereoübertragungen üblich. Gemeinsam mit den Audioexperten Detlef Wiese und Hauke Krüger von der Produktionsfirma Binaurics stellte Rieger die Möglichkeiten der neuen Technik in der Session vor – und wie ginge das besser als mit einem Liveexperiment.
Räumliches Schallerlebnis im Experiment
Zum Auftakt tauschte Rieger, der von seinem Studio in München zugeschaltet war, das Stereo-Mikrofon in ein Kunstkopfmikro, das ein räumliches Schallereignis überträgt. Das Ergebnis war erstaunlich: Sobald Rieger sprach, hatten die Zuhörer*innen der Session das Gefühl, direkt bei ihm im Studio zu sein. Als er testweise kurz flüsterte, stand man gefühlt direkt neben ihm, Seite an Seite. „Bei Stereo hören wir ganz unnatürlich eine Stimme in unserem Kopf, dabei fehlt das Gefühl von Präsenz, wie wir es aus Gesprächssituationen gewohnt sind“, so Rieger. Das sei auch der Grund, warum lange Videokonferenzen Menschen derart anstrengen. Unbewusst versuche das Gehirn ständig zuzuordnen, woher diese Stimme nun eigentlich komme. Es sucht den Raum zum Ton. Damit war auch schon klar, wo diese Technik auf jeden Fall großes Einsatzpotenzial hat. „Wir arbeiten daran, dass Teilnehmende an einem digitalen Meeting das Gefühl haben, miteinander in einem Raum zu sitzen,“ erklärte Detlef Wiese. Das könnte für genau jene Dynamik und Spontanität sorgen, die bei virtuellen Meetings momentan fehlt.
3D Audio für das Gefühl vor Ort zu sein
Besonders wertvoll war die gefühlte Nähe bei realer Distanz für Schüler*innen, die während der Corona bedingten Lockdowns über längere Zeiträume reinen Online- oder Wechselunterricht hatten. Zu dieser Erkenntnis kam Toningenieur Hauke Krüger, der in den Schulklassen seiner Kinder während des Homeschoolings ein Experiment mit 3D Audio gestartet hatte. In den Klassenräumen vor Ort in der Schule wurde FlOhrin aufgestellt, ein immersiver Avatar. Er hatte die Form eines menschlichen Kopfes und war bestückt mit Kamera und Mikrofonen, die das dreidimensionale Hörerlebnis garantierten. „Flohrin war Auge und Ohr für alle Schüler*innen, die den Unterricht von zuhause aus verfolgten“, sagte Krüger. Die Kinder nahmen aktiver am Geschehen teil und konnten sich besser und länger konzentrieren, so Krüger. Im Anschluss an das Schulexperiment hatte Krüger die Technik ebenfalls bei einem Livestreaming aus der Kirche gestestet – mit ähnlichem Ergebnis: Die Teilnehmenden zuhause hatten das Gefühl, vor Ort dabei zu sein. Naheliegend war also das Fazit der Tonexperten, wo die 3D-Technik zukünftig vor allem zum Einsatz kommen könnte: bei der Übertragung von Events, Konzerten, Sportereignissen und Diskussionsrunden, aber auch in Autos, bei der Produktion von Werbespots und Hörbüchern sowie in der Gaming-Industrie.
Das Potential für zukünftige Audio-Produktionen
So schön das im wahrsten Sinne des Wortes alles klingt, einen Einwand gab es aus dem Publikum: Wirklich neu sei der Kunstkopf nun nicht, merkte Philipp Reinartz an, die Technik stamme aus den 20er Jahren. „Worin genau besteht nun das Potenzial?“, fragte er. Die Antwort liegt für Martin Rieger ganz klar in den digitalen Möglichkeiten. „Mit neuen Spatializern lässt sich der Ton in den virtuellen Raum bringen, so dass sich das Schallfeld mit bewegt, wenn sich die Tonquelle bewegt.“ Dafür hatte Rieger ein überzeugendes Beispiel: einen Werbespot für die Tourismusregion Chiemsee. Darin spricht ein Mann, der auf einem Standup-Paddelboard über den See fährt. Mit der digitalen immersiven Technik verändern sich die Geräusche der Umgebung parallel zu den Kopfbewegungen des Mannes auf dem Board. Dafür brauche man auch keine Kopfhörer mehr, die für die Vorstufe des immersiven Audios, das sogenannte binaurale Audio wie bei Kunstkopf Flohrin, noch nötig sind.
Detlef Wiese fügte hinzu, dass sich grundsätzlich aber auch die Erreichbarkeit der Menschen verändert hat. „Jeder besitzt nun Kopfhörer und nutzt sie täglich.“
Da jedoch kaum jemand einen Kunstkopf besitzt, stellte sich zum Abschluss der Session für Valerie Wagner noch eine andere Frage: „Was braucht man für die Produktion eines 3D-Podcasts?“ Auf jeden Fall keine teure Ausrüstung, versicherte Martin Rieger. Problematischer als das Hardware-Angebot, sieht er den seltenen Einsatz der Technik. „Es existiert kaum gut gemachter 3D-Audio-Content, weil wenige wissen, was hier besser funktioniert als mit Stereo“, so Rieger. Aber auch das wird sich wohl bald ändern.