Was hinter der „User First-Strategie“ bei Funke steckt
Wenn es um die digitale Transformation geht, schauen deutsche Zeitungsverlage immer häufiger nach Skandinavien. Das gilt auch für die Funke-Gruppe, die sich die Inspirationen für ihr „Oslo-Projekt“ in Norwegen holte – und eine „User First“-Strategie entwickelt hat.
30 Prozent der Norweger bezahlen für digitale Inhalte, in Deutschland sind es acht Prozent. Anlass genug, sich das Land genauer anzuschauen, berichtete Ruth Beth, Direktorin für Digitale Transformation, bei der „Media Innovation Week“ der International News Media Association (INMA) in Hamburg.
Ende 2017 war ein Funke-Team auf einer INMA-Tour in Oslo und brachte eine Menge Inspirationen mit. Bei der Funke-Gruppe stand die Frage im Vordergrund, ob das Unternehmen genug mache, um sich den verändernden Ansprüchen der Leser anzupassen. Offenbar nicht. Noch 2018 sei die Mehrzahl der Artikel zwischen 11 und 16 Uhr veröffentlicht worden; die meisten Leser waren aber morgens, mittags und am späteren Abend auf den Funke-Seiten.
Ein Beleg, dass da etwas nicht zusammen passte – und Funke machte sich auf den Weg, den Nutzer ins Zentrum aller Anstrengungen zu stellen. Mit allen Chefredakteuren der Gruppe, berichtet Beth weiter, wurde das Ziel definiert: „Wir müssen unsere Redaktionen so aufstellen, dass wir unseren Lesern immer das bestmögliche Angebot machen können – entsprechend ihrer Interessen und Nutzungsgewohnheiten. Die Organisation muss sich auf Themen und Aktualität ausrichten – und nicht auf Print.“ Oder, in der Kurzform: „User first“.
Umstellung der Workflows
Was das konkret heißt? In Workshops mit den Redaktionen wurden die wichtigsten Fragen aufgeworfen und mit den Redakteuren entschieden. Auch die Unternehmenskultur stehe unter Veränderungsdruck, betont Beth: Jeder müsse mitgenommen werden, über die Abteilungen hinweg transparent kommuniziert werden.
In den folgenden Monaten stellte Funke den Workflow um, entwickelte neue Formate und erarbeitete eine neue interne Kultur. Nutzerdaten spielten dabei eine große Rolle, für die Redaktionen wurden Dashboards und Leitungskennziffern für Artikel entwickelt, mit denen die Redakteure das Nutzerverhalten sehr genau analysieren können.
Im Juli 2018 startete das „Projekt Oslo“ offiziell, die neue Strategie wurde Schritt für Schritt bei den Funke-Tageszeitungen eingeführt. Im Oktober 2018 bekam das Hamburger Abendblatt eine neue Paywall „(AbendblattPlus“), seit März 2019 gilt dort die „User First“-Strategie. Mit neuen Workflows, Konferenzstrukturen, Rollen und Daten-Tools. Im April folgte die Berliner Morgenpost, im Mai waren in einem großen Schritt alle Redaktionen in Nordrhein-Westfalen dran.
Hamburger Abendblatt als Paradebeispiel
Inhaltlich hatte sich Funke vorgenommen, beim Vorreiter Abendblatt zehn Hypothesen zu testen. Auf der Liste finden sich Newsletter-Angebote und Facebook-Gruppen. Aber auch viele Ansätze, die Leser an Funke zu binden und irgendwann zu digitalen Abonnenten zu machen: Angebote, damit sich Nutzer registrieren:
- Ein durchdachter Onboarding-Prozess.
- Eine stärkere Einbindung der Leser.
- Der Versuch, durch langfristige Abos, die Abbesteller-Quote zu senken.
- Und Abbesteller zurückzugewinnen.
Am Beispiel Hamburger Abendblatt illustriert der stellvertretende Chefredakteur Bernd Röttger, wie Funke vorgegangen ist. Mit Hilfe der Nutzerdaten wurden die zehn Themen identifiziert, die die Hamburger am stärksten bewegen. Auf den ersten Plätzen landeten der HSV, die Elbphilharmonie und das Wetter. Aber auch Kriminalität, die Nachbarschaft und Schulen. Soweit vorhersehbar. Völlig unerwartet jedoch, dass sich Rezensionen als sehr gut herausstellten, wenn es darum ging, aus Lesern Abonnenten zu machen. Jede Theater- oder Konzertbesprechung führte zu neuen Bestellungen, sagt Röttger.
Also schrieb die Redaktion mehr Rezensionen, nutzte diese Stilform auch für andere Themen, entwickelte einen speziellen Newsletter, einen Podcast für Ereignisse in der Elbphilharmonie und schließlich ein eigenes digitales „Kultur-Abo“. Weitere große redaktionelle Projekte waren die crossmediale Serie „#besterstadtteil“, als Ausgangspunkt für viele weitere „Hamburgs beste …“-Serien.
Um neue Nutzergruppen zu erreichen, wurden für die großen Themen eigene Kanäle aufgebaut. So startete das Abendblatt acht Podcasts, vom klassischen Nachrichten- und Chefredakteurs-Talk bis hin zu Fußball- und Klassik-Formaten. Zum Teil gibt es dafür Sponsoren, einen neuen Kriminalitäts-Podcast will ein lokaler Bestatter unterstützen. Immerhin 500.000 Downloads wurden im ersten Jahr erreicht, ein Umsatz von 250.000 Euro gemacht, berichtet Beth.
Mehr Daten, neue Kanäle und entsprechende Formate
Und natürlich hat auch das Abendblatt inzwischen eine Flotte von Newslettern, geschrieben vom Chefredakteur, gefüllt mit den TOP-News, den HSV-Neuigkeiten oder Klassik-Rezensionen. Auf Instagram verfolgt die Abendblatt-Redaktion das ehrgeizige Ziel, „Hamburgs wichtigsten Influencer“ zu stellen. Reporterin Yvonne Weiß habe sich der Herausforderung gestellt und immerhin schon 18.000 Follower gewonnen. Instagram nutzt die Redaktion auch, um die Leser immer wieder hinter die Kulissen der eigenen Arbeit blicken zu lassen.
Das digitale Spielfeld bietet dem Abendblatt zudem die Möglichkeit, zu seinen Wurzeln zurückzukehren und eine dezidierte Abendzeitung als ePaper aufzulegen. Und damit den Lesern ein Angebot zu machen, die sich abends von ihrer Zeitung informieren lassen wollen. Integriert sind die Podcasts, und die Möglichkeit, sich den Text vorlesen zu lassen. Gleichzeitig gibt das e-Paper dem Verlag über ein eigenes Dashboard die Chance, das Verhalten traditioneller Print-Leser zu analysieren.
Die ersten Resultate der neuen Strategie seien positiv, berichtet Beth. Konkrete Unternehmenszahlen nennt sie nicht. Fünf Jahre habe das Abendblatt gebraucht, um 30.000 digitale Abos zu erreichen – doch hätten die vergangenen Monate seit der Einführung von „User First“ einen deutlichen Anstieg gebracht.
„Aber wir brauchen zehnmal mehr, wir müssen noch viel schneller werden“, sagt Beth. Für die nächsten Monate sei ein Artikel-Score geplant, eine vertiefte Daten-Analyse und ein Editorial-Lab. „Mach das Richtige und vermeide das Falsche“, das habe man nicht zuletzt in Skandinavien gelernt.