Hacking://Journalism: Neue Algorithmen braucht der Reporter!
Im Juli 2018 fand im Startplatz Düsseldorf der erste NRW-weite Journalismus-Hackathon statt. Fachjournalist Mika Baumeister hat das Event im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW begleitet.
Düsseldorf Medienhafen, Speditionsstraße 15, dritter Stock: Im Startup-Accelerator
„Startplatz“ qualmen die Köpfe. Unter dem Motto Hacking://Journalism lud die
Stiftung Vor Ort NRW der Landesanstalt für Medien NRW zum kreativen
Brainstorming und der Entwicklung digitaler Produkte ein. Das Ziel: Das Erstellen
neuer Programme, die beim Community-Management und der Enttarnung von Fake
News helfen. Auch „Everyday Pain Killers“, also Werkzeuge/Tools, die beim
alltäglichen Geschäft eines Journalisten helfen, sollen im Rahmen der dreitägigen
Veranstaltung angefertigt werden. Insgesamt acht Teams treten gegeneinander an
und setzen ihre Ideen in funktionierende Prototypen um.
Mit vollem Elan ins Unbekannte
44 Stunden nach Start des Journalismus-Hackathons kann sich Tim Schatto-Eckrodt
das Grinsen nicht mehr verkneifen. Er und sein Team räumen gleich doppelt ab:
Nicht nur das Publikum ließ sich von der Idee der vierköpfigen Gruppe begeistern.
Auch die Jury ist vom Konzept der zwei JournalistInnen, einem UX-Designer und
einem Programmierer überzeugt. „What’s Hot“, das von ihnen entwickelte Tool, soll
Reportern die Arbeit vereinfachen. Auf einer Karte zeigt das Programm Tweets,
Instagram-Posts und weiteren Content. Die Idee, das Design, jede einzelne Zeile des
Codes – alles produziert in weniger als zwei Tagen.
Noch am Donnerstagabend, dem Start der Veranstaltung, kennen sich die
Teilnehmer nicht. Einziges Merkmal zur Unterscheidung: Verschiedenfarbige
Schlüsselbänder zur Kennzeichnung von Entwicklern, UX-Designern,
Wirtschaftsprofis und Journalisten. Im Düsseldorfer Medienhafen ist der Startplatz
ansässig. Hier, in einem ehemaligen Speichergebäude, finden sich die Teilnehmer zu
dem Hackathon zusammen.
Die Veranstaltung soll ein Mix zwischen Digitalisierung, Hacking und einem Marathon sein. Neue Ideen werden in Code umgesetzt, wofür nur
wenig Zeit bleibt. Alle Teilnehmer wollen das Ziel so schnell wie möglich erreichen.
Hier hackt niemand fremde Computer, vielmehr wird unkonventionell gearbeitet und
so etwas Neues geschaffen.
Hacking://Journalism will Experimente fördern und bietet dafür eine offene
Umgebung. Tobias Schmid ist Direktor der Landesanstalt für Medien NRW und
begrüßt die Teilnehmer. Für ihn ist es wichtig, dass auch lokale Redaktionen
profitieren. „Die Frage ist immer, ob es eine Möglichkeit gibt, aus einer guten Idee
auch ein gutes Geschäftsmodell zu machen. Wenn uns das für unser Thema, guten
Lokaljournalismus, gelingen würde, wäre das schön.“
Scheitern gehört dazu
Die 35 Teilnehmer sind sich den Risiken eines Hackathons bewusst. Immer gibt es
Stellen, an denen es nicht ganz glatt läuft. Hier und da gibt es Probleme bei der
Programmierung, ab und zu gehen die Ideen aus. Trotzdem gibt niemand auf.
Besonders hart trifft es das Team „Neustart“, das Lesern eine neue Art der
Interaktion mit Journalisten ermöglichen wollte.
Über Themenvorschläge und ein Abstimmungssystem hätten Lokalredaktionen direkt von der lesenden Zielgruppe erfahren können, welche Beiträge besonders gut ankommen würden. Schlecht nur, dass es das abstimmungsbasierte System bereits gibt. Die Gruppe gesteht sich leicht niedergeschlagen ein, dass es zwar schade um den Gedanken sei, die Idee
allerdings bereits erfolgreich im Einsatz ist. „So schlecht war der Ansatz also nicht“, kommentiert ein Teilnehmer.
Das Team Neustart adaptiert die Idee nun auf Social Media. Algorithmen sollen
beliebte Themen ausfindig machen und dem Redakteur Themenvorschläge liefern.
Leser, die die Grundlage für eine Recherche liefern, könnten für gute Einreichungen
belohnt werden. Dadurch steige auch die Bindung der Leser an die Lokalzeitung,
berichtet das Team.
Den Lokaljournalismus möchte auch die Kölner Republik fördern. „Wir wollen aus
kleinen Geschichts-Bausteinchen ein neues Stadtpanorama formen“, erzählt Achim
Scheunert. Nach der kurzen Zeit präsentiert das vierköpfige Team eine komplette
Onlinepräsenz. Die Gruppe plant, bekannte Lokalpatrioten zu ihrer Stadt und der
eigenen Lebensgeschichte zu befragen. Sie wollen nach Ende des Hackathons an
der Idee weiterarbeiten und bis Dezember in Summe zehn Gespräche
veröffentlichen.
Mit den besten Schlagzeilen zum Bootcamp
Ann-Kathrin Seidel muss jeden Morgen mehrere Stunden Themen für ihre Redaktion
suchen. Dabei kommen verschiedenste Quellen zum Einsatz. Häufig findet sie aber
kein passendes Thema. Das möchte sie ändern: Ihr Team entwickelte deswegen
„Choosyfy“. Schon das Logo in Form eines Trichters macht deutlich, was das
Programm tun soll. Es akquiriert News aus zahlreichen Datenquellen, die nachher für
den Journalisten optimal gefiltert und aufbereitet werden. Im Vergleich zu anderen
Programmen liest Choosyfy aber nicht nur RSS-Feeds, sondern greift zusätzlich auf
Facebook, Twitter und Google News zu. Auch die für Studenten bestimmte
hyperlokale App Jodel soll relevante Informationen liefern.
Der Entwickler Achim Schmidt unterstützt Choosyfy mit technischem Wissen. Für ihn
ist es der zweite Hackathon. „Man kommt in der kurzen Zeit zwar gut voran, aber
natürlich muss man Abstriche machen“, erzählt er kurz nach der Abgabe. Zahlreiche
Post-Its an der Wand zeugen von einer ausführlichen kreativen Phase. Wäre mehr
Zeit gewesen, hätte das Team sogar mit einem KI-System zur Erkennung von
Schlagzeilen gearbeitet. Aber auch so schliefen die Teilnehmer schon wenig genug,
weiß Schmidt.
Das fünfköpfige Team bringt es mit der Idee auf den vierten Platz. Da Choosyfy aber
nicht komplett ohne Belohnung ausgehen sollte, wurde kurzerhand ein Sonderpreis
ins Leben gerufen: Eine Wildcard ermöglicht es der Gruppe, bei einem Bootcamp im
Rahmen des Förderprogramms „Reinvent Local Media“ teilzunehmen. Dort
bekommen sie professionelle Hilfestellung und können sich für das FellowshipProgramm
qualifizieren, welches das Team finanziell unterstützt und Räumlichkeiten
zur Verfügung stellt, erklärt Simone Jost-Westendorf, Geschäftsführerin von Vor Ort
NRW.
Der Hass hat keine Chance
Einen Raum weiter sitzen vier Teilnehmer. Durch große Fenster zwischen den
Konferenzzimmern sehen sich die Teams, können sich theoretisch austauschen. Der
Tisch ist mit Skizzen und Laptops gefüllt, auch das Flipchart ist im Einsatz. „Hablo“
heißt das Programm, das hier entwickelt wird. Der Hatespeech-Blocker will SocialMedia-Redakteuren zu mehr Urlaub verhelfen, erklärt ein Gruppenmitglied. Das Programm wendet eine Sentimentanalyse auf Kommentare an. Werden Hassposts oder Beleidigungen gefunden, alarmiert Hablo den zuständigen Manager über das Kommunikationswerkzeug Slack.
Nun kann der Redakteur auf vier Arten reagieren: Soll der Troll per Humor oder
durch eine sachliche Diskussion abgeblockt werden? Sollte der Kommentar
strafrechtlich relevant sein, erstellt Hablo automatisch einen Screenshot, löscht den
Beitrag und leitet das gespeicherte Bild an die Rechtsabteilung weiter. Besonders
viel Anklang dürfte allerdings der „Deine Mudda“-Modus finden: Das automatisierte
Programm antwortet mit Katzenvideos und Memes, um den Unsinn der
Hasskommentare gezielt zu enttarnen. Hablo erreicht bei Hacking://Journalism den dritten Platz und darf sich über 1.000 Euro freuen. Das Programm könne erst einmal nonkommerziell eingesetzt werden. Später sollen auch Organisationen und Verlage vom Hatespeech-Blocker profitieren.
Ein Zungenbrecher für politisches Fact-Checking
In einem großen, schlicht eingerichteten Raum mit Blick auf den Rhein erblickt „taMO-lhaW“ das Licht der Welt. Vom Team selbst wird die Plattform „Wahl-O-Mat
rückwärts“ genannt. Während die originale Vorlage Wahlversprechen der Parteien
vergleicht, soll taM-O-lhaW die Einhaltung der Versprechen kontrollieren. Gerade in
politisch schweren Zeiten ist eine Bewertung der politischen Entscheidungen wichtig,
erklärt die Gruppe.
Die Plattform funktioniert ein wenig wie Wikipedia: Nutzer des Portals dürfen selbst
Versprechen auf deren Einhaltung überprüfen und einen Beitrag verfassen. Dennoch
will das Team Wahl-O-Mat rückwärts Beiträge im Vornherein auf die Plausibilität
überprüfen, um Troll-Postings zu vermeiden. Für die Weiterentwicklung der Idee
bekommt die zweitplatzierte Gruppe 2.000 Euro.
Hauptpreis geht an News-Tool „What’s Hot“
In einer kleinen, gut schallisolierten grünen Kabine feiert Schatto-Eckrodt mit seinem
Team den Gesamtsieg. Er studiert eigentlich Kommunikationswissenschaften, nimmt
am Hackathon allerdings als Entwickler teil. Neben dem ersten Platz gewann das
Werkzeug für Lokaljournalisten auch die Gunst des Publikums. „Wir verstehen die
Auszeichnungen als Arbeitsauftrag“, verkündet Thorsten Lenze, einer der zwei
Journalisten des Teams. Die Preisgelder von 3.000 und 500 Euro sollen
projektbezogen eingesetzt werden.
Die Idee zu What‘s Hot brachten die freiberuflichen Journalisten quasi von der Arbeit
mit. „Derzeitige Analysetools funktionieren nicht gut. Wir wollen das ändern. What’s
Hot soll einfach, intuitiv und übersichtlich sein“, erläutert das Team vor dem
Publikum. Rund 60 Personen lauschen der Ergebnispräsentation, die meisten Ideen
finden großen Anklang. Redakteure können verschiedene Themen wie etwa
Blaulicht, das Alter der Events, die Grundstimmung der Social-Media-Nutzer und
Hashtags zur Filterung einsetzen. „Wo gute Fotos aufgenommen wurden, kann man
auch drehen und fotografieren. Wir sprechen also Fernsehredaktionen und
Zeitungen an.“
Wie Medienstartups zum Ziel kommen
„Ich bin überrascht, wie weit wir gekommen sind“, erzählt Schatto-Eckrodt. Er allein
ist für rund 500 Zeilen Code verantwortlich. Das Programm extrahiert bereits echte
Daten. Noch fehlt aber die Verbindung zwischen User Interface und bereits
programmiertem Backend. Hier wird vielleicht in den nächsten Monaten angesetzt
und weiterentwickelt, auch wenn andere Mitglieder in einem festen Arbeitsverhältnis
stehen. „Eigentlich haben wir gar keine Zeit, das alles durchzuziehen“, heißt es.
„Andererseits haben wir jetzt festgestellt, dass die Idee technisch umsetzbar ist, geil
aussieht und auch noch funktioniert. Und jetzt haben wir auch noch einen Preis
gewonnen!“
Jurymitglied Lina Timm ist eigentlich beim MediaLab Bayern tätig. Für den
Hackathon ist sie nach Düsseldorf gekommen, um den Teilnehmern bei der
Konzeptionierung und Problemlösung zu helfen. Sie ist von den Ergebnissen der
Gruppen zufrieden: „Es sind coole Ansätze dabei, die uns als Jury überzeugt haben“.
Vor allem What’s Hot verdient Lob, erzählt Timm. „Sie haben nicht nur ein Mockup
gebaut, sondern es auch gecodet und sich mit den genauen Details beschäftigt.“
Viele der eingereichten Ideen sollen auch ohne gewonnenen Preis weiterentwickelt
werden. Zum Einstellen der Projekte seien viele der Ideen außerdem zu schade,
erklärt die Jury. Deswegen stehe es auch jedem Team frei, sich für das FellowshipProgramm
zu bewerben. Hier können Ideen weiter ausgearbeitet werden – und das
völlig ohne finanziellen Druck. Timm gibt allen Teams aber noch einen klaren Tipp
mit auf den Weg: „Kümmert euch immer zuerst um die Nutzer! Als Startup kann ich
nur überleben, wenn ich an einem Problem ansetze und Nutzer meine Lösung
brauchen.“