Warum wir mehr Startups im Journalismus brauchen
In den vergangenen Jahren sind im Journalismus zahlreiche neue Unternehmen gegründet worden. Ihnen werden große Potenziale in der Erneuerung der Medienbranche zugesprochen: Startups sollen journalistische Darstellungsformen entwickeln, innovative Erlösquellen als Antwort auf die finanziellen Probleme des Journalismus erschließen, Wege der Zusammenarbeit abseits der klassischen Redaktion erproben. Und all das bestenfalls zum Wohle des Journalismus.
Schon Joseph Schumpeter, der große Vordenker des unternehmerischen Wandels, hatte Anfang des 20. Jahrhunderts festgestellt, „…dass das Neue in der Regel nicht aus dem Alten herauswächst, sondern neben das Alte tritt und es niederkonkurriert…“.
Auch eine Studie des Global Centers for Digital Business Transformation aus dem Jahr 2015 belegt, dass verantwortliche Manager in den Medien (mehr als Führungskräfte aller anderen Wirtschaftszweige) die Veränderungstreiber ihrer Branche überwiegend auf Seiten neugegründeter Unternehmen lokalisieren. Wie kommt es zu diesen hohen Erwartungen? Mindestens drei Überlegungen erklären die – zumindest theoretische – Relevanz von Neugründungen im gegenwärtigen Wandel des Journalismus.
Startups können Traditionen aufbrechen
Etablierte Medien sind von der strukturellen Logik ihrer Hauptproduktionsweise – bei Presseverlagen die Drucktechnik – und den damit verbundenen Produktionsrhythmen, Arbeitsroutinen, Publikumsvorstellungen usw. geprägt. Das hat Folgen für ihre digitalen Produkte, die häufig ausgehend von und gemessen an traditionellen Branchenstandards entwickelt werden. Managementforscher sprechen von einer schwer überwindbaren „Pfadabhängigkeit“ und Trägheit der Medien.
Von Startups, die abseits bestehender publizistischer Strukturen entstehen und nicht den Traditionen eines etablierten Muttermediums unterliegen, wird hingegen erwartet, solche ausgetretenen Pfade zu verlassen. Ihre Gründung unter den Bedingungen digitaler, vernetzter Medien sollte ihnen erleichtern, deren Potenziale weitreichender auszuschöpfen als etablierte Unternehmen.
Neuerungen sind auch deshalb wahrscheinlich, da Startups schon aus wirtschaftlichen Gründen auf eine (inhaltliche) Unterscheidbarkeit von bestehenden Medienangeboten setzen sollten, etwa indem sie mit ihren Produkten unterversorgte Nischen im Medienmarkt ansprechen.
Startups können Trendgeber für etablierte Medien sein
Startups und die von ihnen erprobten Innovationen können eine Vorbildfunktion für etablierte Medien übernehmen. Mindestens drei Mechanismen sind dabei denkbar: Medienunternehmen können mit Startups kooperieren, sie können deren Neuerungen kopieren oder Gründungen kaufen (bzw. sich an ihnen finanziell beteiligen).
Der Kommunikationswissenschaftler Jeffrey Wimmer hat diesen Prozess einer zunehmenden Angleichung von neuen und alten Unternehmen am Beispiel der in den 1980er Jahren gegründeten Alternativmedien wie Stadtteilmagazine und Anzeigenblätter nachgezeichnet. Zahlreiche der ursprünglich in diesen Gründungen erprobten Innovationen, insbesondere ihre subjektiv geprägten Berichterstattungsmuster, wurden demnach von den etablierten Presseverlagen aufgegriffen und umgehend in die eigenen Medien kopiert.
Eine solche Angleichung wird angetrieben durch gegenseitige Beobachtung und durch den Austausch von Personal zwischen neuen und alten Unternehmen.
Startups können zum Wandel des Journalismus beitragen
Startups wird das Potenzial zugeschrieben, durch ihre wirtschaftlichen und publizistischen Strategien einen Einfluss auch auf die gesellschaftliche Rolle des Journalismus insgesamt zu nehmen.
Am Beispiel des deutschen Verlagswesens um 1880 hat die Medienökonomin Marie Luise Kiefer gezeigt, wie die damals gegründeten Zeitungen gewissermaßen beiläufig ein neues Medienformat etablierten. So war mit der Entstehung der kommerziellen Massenpresse auch eine Innovation inhaltlicher Art verbunden: Die neuen Zeitungen vereinten unterschiedliche gesellschaftliche Positionen in einem Medium, um möglichst viele Leserinnen und Leser, die im neuentstehenden Anzeigengeschäft zu einer wichtigen Ressource geworden waren, zu erreichen.
Im deutlichen Kontrast zur damals vorherrschenden, weitgehend einseitigen Parteipresse entstand so eine integrative „Forumspresse“, die wesentlich zur individuellen Meinungsbildung und Herstellung einer gesellschaftlichen Öffentlichkeit beitrug. Der historische Fall zeigt: Die Rolle, die der Journalismus in demokratischen Gesellschaften übernimmt, ist auch eine Folge unternehmensstrategischer Entscheidungen und veränderter Marktbedingungen, die von Neugründungen mitgestaltet werden.
Zweifel an ihrer tatsächlichen Leitungsfähigkeit
Aber: Können journalistische Startups diese hohen Erwartungen heute erfüllen? Vorliegende Ergebnisse aus der empirischen Forschung geben Anlass für Zweifel.
Neugründungen geraten nicht selten in eine strukturprägende Kurzsichtigkeit (von „formational myopia“ sprechen die Journalismusforscher Lucia Naldi und Robert Picard), wenn sie bestehende Geschäftsmodelle und klassische journalistische Arbeitsweisen eins zu eins in digitale Umgebungen übertragen – und eben nicht erneuern. Zu häufig, so legen die Forschungsergebnisse nahe, werden Gründungen aus einer „Medienmacher-Perspektive“ gestartet, die früh konkrete journalistische Formate entwickelt, dabei aber potenzielle Zielgruppen und Nutzerwünsche außer Acht lässt.
Auch wenn Neugründungen den hohen Erwartungen bislang nicht gerecht werden: Vieles deutet darauf hin, dass Unternehmertum, Wagemut und Innovationsfreude notwendige Voraussetzungen für die künftige Erneuerung von Medien und Journalismus sein werden. Dafür sollten passende Rahmenbedingungen und Innovationsanreize – auch von staatlicher Seite – geschaffen werden.
Dr. Christopher Buschow lehrt und forscht zu Unternehmertum in den Medien. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Habilitand am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung (IJK) der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Zuletzt erschien von ihm seine Dissertation „Die Neuordnung des Journalismus: Eine Studie zur Gründung neuer Medienorganisationen“, die von der Körber-Stiftung mit dem Deutschen Studienpreis 2017 ausgezeichnet wurde. Buschow ist Mitinitiator des „Media Entrepreneurship“-Programms, in dem bislang mehr als 125 Medienstudierende in der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle unterstützt wurden.